Geboren wurde ich 1977 in der DDR.
Mein Vater wollte schon immer in den Westen und ein Kind kam ihm da nicht gelegen.
Meine Mutter hatte er deshalb dazu gebracht, eine vorherige Schwangerschaft abzubrechen,
worunter sie natürlich sehr litt. Ich durfte dann auf die Welt kommen. Aber gewollt hatte er
mich nicht, was er mir vor wenigen Jahren auch sagte.
Durch gute Verbindungen verließen wir 1978 gegen den Willen meiner Mutter die DDR.
Kaum hatten wir unsere Zelte in der Nähe Hamburgs aufgeschlagen, machte der neue Arbeitgeber
meines Vaters der Belegschaft ein Angebot: Wer in Thailand eine Zweigstelle aufbauen wolle,
solle sich melden. Das war es! Sein ganz großes Abenteuer. Also flogen wir für ein Jahr
in dieses fremde Land, ohne ein Wort Englisch oder eine Idee, was uns erwarten würde.
Mein Vater blühte auf, meine Mutter wurde immer unglücklicher. Dort manifestierten sich
unsere Familienprobleme, denn beide hatten auf ihre Art mehr mit sich selbst als mit mir
oder miteinander zu tun. Ich war in der wichtigsten Phase meiner Kindheit alleine.
Und alleine sollte ich in den nächsten Jahren noch öfter sein.
Es gab so oft Streit. Ich habe fast keine Erinnerungen an meine Kindheit, doch die Gardine
in meinem Kinderzimmer werde ich nie vergessen. Zu oft habe ich sie vom Bettchen aus angestarrt,
während abends nebenan böse Worte fielen. Ich liebte es, vom Fliegen zu träumen und am liebsten
flog ich ganz weit weg zu den Familien aus meinen Kinderbüchern oder -filmen.
Als Kindergartenkind wurde ich viele Wochen alleine in ein Kinderheim ans Meer verschickt
um zuzunehmen. Doch vor Kummer wurde ich stattdessen immer dünner. Mit zwölf wurde ich
für einige Monate ins Krankenhaus eingewiesen und teilweise zwangsernährt und schikaniert.
Ich ertrug viele Jahre Hänseleien und komische Blicke.
Ich hasste alle und alles. Immer wieder wurde mein Wille gebrochen und meine Grenzen
nicht gewahrt. Ich fand schwer Freunde und fasste kaum Vertrauen. Ich versuchte immer wieder
in Verbindung zu kommen, aber brach dann oft den Kontakt wieder ab, wenn es mir zu nah wurde.
Ich schwankte zwischen „gesehen werden wollen“ und „mich verstecken“. Niemand verstand mich;
ich selbst am wenigsten. Ich fühlte mich steinhart und unheimlich wütend und im nächsten Moment
fiel ich wie ein Kartenhaus zusammen.
Mit etwa 17 veränderte sich etwas. Ich fing an, Elternzeitschriften zu verschlingen und regelmäßig
Babysitten zu gehen. Ich mochte es so sehr, in anderen Familien zu sein und mit den Kindern
wunderschöne Nachmittage zu verleben und sie abends ins Bett zu bringen. Die Kleinen liebten mich
und ich kam mit ihnen so viel besser klar, als mit vielen Gleichaltrigen oder gar Erwachsenen.
Und immer mal wieder fragte ich mich, ob ich wohl eines Tages selbst eine gute Mutter sein könnte.
Ganze 15 Jahre lang betreute ich neben Schule, Ausbildung, Studium und Job Kinder wirklich jeden
Alters. Mir fiel auf, wie viele verschiedene Probleme es in den Familien gab und wie sehr ich in der
Lage war, das Ganze von Außen zu betrachten, gute Impulse zu geben und dadurch selbst ein wenig
zu heilen. Ich durfte also nicht nur Zeit mit den Kindern verbringen und nebenbei Geld verdienen.
Stattdessen konnte ich wirklich etwas im Innen und Außen bewegen! Ich machte einen Unterschied
für diese kleinen Menschen und letztlich auch für mich.
Mein Werdegang sollte sich hauptberuflich aber erst einmal sehr von dem unterscheiden,
den ich manche Nachmittage und Abende – anscheinend noch unbewusst – verfolgte. Ich wurde
Werbekauffrau mit anschließendem Studium zur Kommunikationsdesignerin. Ich sollte 12 Jahre
in einer Versicherung als Grafikerin arbeiten bis das geschah, was alles änderte. Mit 39 wurde ich
endlich schwanger. Nach unglaublich vielen gescheiterten Beziehungen und einigen Behandlungen
in einer Kinderwunschklinik, durfte ich endlich herausfinden, ob ich die Mami sein kann,
die ich gerne selbst gehabt hätte. Ich erlebte eine traumhafte Schwangerschaft und Geburt.
Aber danach begann ein tränenreiches Wochenbett und alles schien zu kippen. Erst konnten wir
angeblich nicht richtig stillen und einige Monate später litt mein Kleiner an Neurodermitis
– und wir mit ihm. So viele falsche Ratschläge und Anordnungen von Ärzten, Professoren,
Hebammen und Krankenhauspersonal. Ich kämpfte wie eine Löwin mit meinem immer lauter
werdenden Mutterinstinkt und Bauchgefühl gegen das an, was mir andere sagten. Es rüttelte
an meinem Selbstvertrauen und es machte mir Angst, denn ich kannte mich nicht aus.
Ich wurde doch auch gerade erst als Mami geboren, aber ich spürte, dass nicht richtig war,
was diese fremden Menschen von mir erwarteten.
Zu meiner Beruhigung las ich Artikel und wälzte Bücher, machte einen Kurs zur Stillberaterin
und verschlang alles zum Thema Neurodermitis. Ich wollte nach all den Jahren des Wünschens
einfach nur eine wunderschöne Zeit mit meinem Baby haben. Stattdessen zerbrach ich fast daran.
Hätte ich auf die Ärzte gehört, hätten wir nur kurz gestillt und mein Kind würde wohl heute noch
Kortison und Antibiotika gegen seine Hautstellen bekommen.Doch durch meine ungeahnten Kräfte
und meine laute innere Stimme, durften wir schließlich 26 wundervolle Monate stillen. Wir haben
unser Kind ganzheitlich anschauen und behandeln lassen und nach wenigen Monaten war der Spuk
durch eine Darmsanierung, homöopathische Mittel und den Verzicht auf gewisse Lebensmittel vorbei.
Und schon wieder hatte mir das Leben etwas an die Hand gegeben. Ich beriet nun neben meinem Job
Mamas mit Stillproblemen und erklärte Eltern, was es wirklich mit Neurodermitis auf sich hat und was
die Schulmedizin oft zu gerne unter den Tisch kehrt.
Beseelt fing ich nun während meiner Elternzeit an zu überlegen, wie ich diese wundervollen und
herausfordernden Erfahrungen weitergeben könnte. Was mochte wohl der gemeinsame Nenner
für meine Kompetenzen aus der eigenen Kindheit und meinem Mamadasein sein? Ich wollte eine
Elternberaterin werden!
Ich forderte Material von diversen Fernuniversitäten an, aber mich störte immer etwas.
Ja, was genau war es, das mir nicht gefiel? Mir widerstrebte, dass so oft nur auf das Verhalten
des Kindes geschaut wird und darauf, wie man es so gut wie möglich unterbinden könne.
Das erinnerte mich zu stark an die Erfahrungen meiner Kindheit und die wollte ich unmöglich
anderen weitergeben.
Ich durchforstete weiter das Internet und da war es! Eine Ausbildung zur bindungs-
und beziehungsorientierten Eltern- und Familienberaterin. Sofort schrieb ich Katia Saalfrank
an, die sich nach ihrer damaligen Zeit als „Super Nanny“ komplett neu orientiert hatte.
Ich bekam einen Platz in ihrem Seminar und lernte nun ein Jahr lang, wie wunderbar gleichwürdig
und in Verbindung man leben und aufwachsen kann. Parallel besuchte ich einmal die Woche eine
großartige Verhaltenstherapeutin, arbeitete meine Kindheit auf, verbannte alte Glaubenssätze
und innere Kritiker und machte einen Kurs für persönliche Weiterentwicklung.
Mehr und mehr trat ich aus meinem Schatten ins Licht. Immer öfter hörte ich, ich würde
strahlen und leuchten. Alte Freundschaften lebten wieder auf, fremde Menschen sprachen
mich auf der Straße an. Ich wurde sichtbar, ich bekam Kontur. Es ging nun nicht mehr um
mein vergangenes Leben voll emotionalem Mangel und ständigem Thematisieren von Essen.
Denn plötzlich konnte ich mich selbst in jederlei Hinsicht nähren und der Wunsch und
der Mut wuchsen, diese Erfahrungen auch anderen Menschen weiterzugeben.
Heute weiß ich, dass ich durch all das gehen musste, um wirklich die zu werden, die ich
sein möchte. Ich fühle mich im positiven Sinne geprüft und es ist für mich schlüssig, warum ich
zum einen so einen steinigen Weg bis zur Schwangerschaft gehen und es zum anderen
ausgerechnet auch bei meinem Kind ein Ernährungsthema geben musste. Ich verstehe heute
auch, was mir das Thema Neurodermitis sagen wollte und bin dankbar, dass ich diese große
Willenskraft und Liebe aufbringen konnte, um uns dort herauszuholen. Ich habe verstanden,
dass ich immer und immer wieder dieselben Aufgaben gestellt bekommen habe, bis ich sie wirklich
verstanden hatte und lösen konnte. Ich, die die meiste Zeit ihres Lebens pessimistisch auf alles
geblickt habe, sehe nun die Chancen in jeder Herausforderung.
Heute bin ich glückliche Mami meines kleinen Henri. Er ist ein absolut sicher gebundenes,
geliebtes Kind und geht neugierig auf die Welt zu, mit all seinen Gefühlen, die da sein dürfen,
und dem Wissen, dass wir nur ein Rufen entfernt sind. Wirklich alle haben ihn lieb und selbst Leute,
die mit Kindern sonst nichts anfangen können, lieben ihn in ihrer Nähe. Er verkörpert all das,
was ich gerne geworden wäre und ich darf dabei sein und erleben, wie sich eine glückliche
Kindheit anfühlt. Ganz nah dran als seine Mami. Das heilt unfassbar! Henri und ich haben eine
ganz tiefe, liebevolle Beziehung mit viel Kuscheln und gemeinsamer Zeit. Ich kann, entgegen
aller Befürchtungen, sehr gut aushalten, mal von ihm abgewiesen zu werden, denn wir
sind uns unserer Liebe immer sicher.
Ich übe mich noch immer in Vergebung meinen Eltern gegenüber. Sie hatten damals die Mauer
überwunden, aber ihre eigenen haben sie bis heute nicht bezwingen können. Zu schwer war
auch ihre Kindheit und zu sehr waren und sind sie im Mangel, den ich hätte auffüllen sollen.
Aber das ist eben nicht möglich für ein Kind. Sie haben mein Mitgefühl, aber ich muss
ihr Leben bei ihnen lassen. Wir haben keinen Kontakt mehr.
Ich weiß seit Henris Geburt und meiner Ausbildung, wofür ich auf dieser Welt bin. Ich bin,
wie jeder andere, ein Geschenk und möchte nichts mehr, als andere Familien dabei zu unterstützen,
sich nicht in Streit, Diskussionen und Strafen zu verlieren – und am Ende sich selbst und ihre Liebe.
Ich möchte ihnen zeigen, dass alles, was sie sich für ihre Familie wünschen, bereits in ihnen ist.
Einer meiner größten Wünsche ist, dass nicht eine Familie mehr so unglücklich ihr
Familienleben erträgt und aussitzt, wie ich es erleben musste.
Kindheit und Elternschaft sind so kostbar und beide sind hier und jetzt. Irgendwann,
wenn die Kinder ihrer Wege ziehen, wird es zu spät sein. Wie schön, wenn sie dann mit
Wurzeln und Flügeln ausgestattet in ihr Leben aufbrechen und sie und ihre Eltern
gemeinsam in glücklichen Erinnerungen schwelgen könnten!
Das Leben und die Liebe dürfen leicht sein. Und ich darf die Erste in meiner Familie sein,
die dafür loszugehen imstande ist. Ich werde dieses schwere Erbe nicht weitertragen und
mache meinem Kind damit das größte Geschenk, das ich mir vorstellen kann.
Möchtest du auch diesen Unterschied erleben? Ich weiß, dass du es schaffen kannst,
denn ich bin den Weg gegangen und gehe ihn täglich weiter. Kommst du mit mir?
Herzlichst, Sandra